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Der Zürcher Ketzer, der in Luzern seinen Kopf verlor

Vor 500 Jahren richtete die Luzerner Obrigkeit den täuferisch gesinnten Schuhmacher Klaus Hottinger aus Zürich auf der Sentimatte. Noch war die Zeit für die Ideen von Glaubens- und Gewissensfreiheit, wie sie Hottinger einforderte, nicht gekommen. UntergRundgänger Delf Bucher geht den Spuren nach.

(Bild: Gemeinfrei)
(Bild: Gemeinfrei)

Ein blutiges Spektakel war angesagt in den Märztagen 1524 auf der Luzerner Sentimatte: Ein reformierter Zürcher Ketzer sollte «mit dem Schwert vom leben zum todt gericht werden». Klaus Hottinger zeigte sich glaubensstark. Kein Winseln um Gnade, keine Reue. Stattdessen verkündete er unerschütterlich den Hunderten von Umstehenden weiterhin die neue evangelische Lehre. Dem Publikum wünschte er, dass Gott auch sie zum rechten Glauben erleuchten werde.

Immerhin zeigten sich die Luzerner Richter bei der Wahl des Mordinstruments gnädig: Statt des Flammentodes sollte Hottinger nach dem Codex der damaligen Zeit – geradezu ehrenwert – mit dem Schwert zu Tode befördert werden. Aus heutiger Sicht noch brutaler und verstörender ist die Äusserung des Luzerner Richters: Wenn aus Hottingers abgeschlagenem Kopf ein neuer nachwachse, «wöllend wir seinen Glauben annemmen». So schreibt es wenigstens Zürichs Reformator Heinrich Bullinger, der spätere Nachfolger von Zwingli.

Märtyrer in Christi

Viel Platz räumt Heinrich Bullinger als Autor der ersten Reformationschronik dem Fall Hottinger ein. Für ihn war er der «erst man, ein Märtyrer in Christi, der von wägen der evangelischen leer in der Eydgenossenschaft» gerichtet wurde. Bereits am 1. September 1523 hatte Leo Jud, der engste Helfer Zwinglis, jeden kirchlichen Bilderschmuck im St. Peter zu Zürich als unchristlich gebrandmarkt.

Wenige Tage später kommt Klaus Hottinger zur Mühle in Stadelhofen und fordert den Müller Hirt keck auf, das Wegkreuz, diesen Götzen, vor seinem Haus umzulegen. Hirt, selbst ein Anhänger der zwinglischen Lehre, traut sich nicht. Ohne den Segen der Obrigkeit will er diesem radikalen Schritt nicht zustimmen. Hottinger dagegen ist überzeugt: Nicht die gnädigen Herren, sondern die Bibel allein mit ihrem unumstösslichen Gebot «Du sollst dir kein Gottesbild machen» kann hier Richtschnur sein.

Bilderstürmer Klaus Hottinger stürzt 1523 das Kruzifix in Stadelhofen. (Bild: Gemeinfrei)
Bilderstürmer Klaus Hottinger stürzt 1523 das Kruzifix in Stadelhofen. (Bild: Gemeinfrei)

Schliesslich schlägt der Müller dem Bilderstürmer Hottinger vor, ihm das Kruzifix zu schenken, und fällt mit der Axt das Wegkreuz. Dass hier ein Einzelner wichtigen Richtungsentscheiden der städtischen Obrigkeit vorgreifen will, missfällt den Eliten. Der Frevler Gottes wurde ins Gefängnis gesperrt und später für zwei Jahre vom Zürcher Territorium verbannt. Wenige Monate später wird das Entfernen religiöser Bilder in Kirchen und auf öffentlichen Plätzen behördlich geregelt.

Vorkämpfer für die Glaubensfreiheit

Hottingers radikales Vorgehen zeigt: Nicht die Obrigkeit, sondern nur die persönliche Erkenntnis entscheidet in Glaubensfragen. Damit kann er durchaus als Vorkämpfer für Glaubens- und Gewissensfreiheit angesehen werden. Anfangs hatte er Zwingli auf seiner Seite. Im Laufe des Reformationsprozesses setzte der Reformator immer mehr auf ein Zusammenspiel von politischer Macht und Kirche. Radikale wie Hottinger wurden verfolgt, sein Bruder später in Waldshut auf der Flucht gestellt und ertränkt.

Anders tönte es noch im Januar 1523. Damals verkündete der Zürcher Reformator, dass «die leyen und wyber mer von der göttlichen geschrifft wissent, denn ettlich priester unnd pfaffen». Und diese belesenen Laien, die sich wie Hottinger im Lesekreis des Buchhändlers Castelberger einer eigenständigen Bibellektüre widmeten, waren clevere Marketingstrategen. Mit gezielten Provokationen wie Messstörungen oder dem berühmten Wurstessen – auch hier war Hottinger mit anderen Radikalen mit von der Partie – lenkten sie das Gespräch auf Märkten und Wirtshaustischen auf die «nuewe leer» des christlichen Glaubens.

Symbolträchtiger Schauprozess

Schon längst hatte man in Luzern den Druck solcher «nüwen büchlin» verboten, hatte reformgesinnte Intellektuelle wie Myconius bereits 1522 aus der Stadt vertrieben. Als nun dem Luzerner Vogt Fleckenstein in der Gemeinen Herrschaft Baden der radikale Hottinger, heute von der Geschichtswissenschaft als Prototäufer bezeichnet, in die Hände fiel, bot dies die symbolträchtige Gelegenheit zu einem Schauprozess.

So deutet auch der Luzerner Historiker Hans Jurt die öffentliche Hinrichtung als einen politischen Akt. Damit wurde in religionspolitischen Fragen die katholische Vormacht in den Gemeinen Herrschaften bekräftigt. Zudem «hatten sie die nützliche Nebenwirkung, die eigenen Untertanen einzuschüchtern», so Jurt.

Vor 500 Jahren: Hottingers letzter Gang zur Sentimatte. (Bild: Gemeinfrei)
Vor 500 Jahren: Hottingers letzter Gang zur Sentimatte. (Bild: Gemeinfrei)

Immerhin war Klaus Hottinger das langsame Verkohlen auf dem Scheiterhaufen, die gewöhnliche Strafe für Ketzer, erspart geblieben. Anders erging es dem zweiten Täufer, Hans Krüsi, dem ein Jahr später der Prozess gemacht und vom Henker dem Feuertod übergeben wurde. Die Quellen berichten, dass es Krüsi gelungen sei, sich von seinen Fesseln zu befreien. Der Scharfrichter solle ihn mit eiserner Gabel in die tödliche Glut zurückgestossen haben.

Die Hingerichteten Klaus Hottinger und Hans Krüsi stehen mit ihrer Ermächtigung, die Bibel selbst auszulegen, für alles, was die Reformation versprochen hat. Sie setzten konsequent das biblische Schriftprinzip um. Sie akzeptierten aufgrund ihrer Lektüre der Heiligen Schrift keine Bilder, keine Taufen, keinen Kriegsdienst und keinen Eid. Das ganze Programm, das Jesus in der Bergpredigt entfaltet hat, war für sie nicht Utopie, sondern sollte auf Erden verwirklicht werden. Wobei bei ihnen wie bei vielen anderen Zeitgenossen eine apokalyptische Naherwartung ausgeprägt war, die mit dem baldigen Kommen des Messias und des Weltgerichts rechneten.

Revolution frisst ihre Kinder

Die täuferische Weltanschauung brachte Priesterkaste und Politeliten, ob alt- oder neugläubig, in Bedrängnis. Schon wurden die Rufe der Bauern mit biblischer Begründung lauter, keinen Zehnten mehr leisten zu wollen. Um die daraus erwachsende gesellschaftliche Dynamik zu stoppen, musste die Bibel wieder zum Herrschaftswissen werden. Theologie sollte allein das Monopol einer staatlich kontrollierten Geistlichkeit bleiben.

Die Täufer wurden ertränkt, auf Galeeren verbannt, ihre Frauen zwangsverheiratet. Das Fazit dieses ersten Aufbruchs in die Moderne folgte wie so oft später dem tragischen Drehbuch mit der Generalüberschrift «Die Revolution frisst ihre Kinder».

Verwendete Quellen

  • Hans Jurt – «Kirchendiebe und Ketzer»
  • Ulrich Knellwolf – «Rede, Christenmensch!»

Hinweis: Themenrundgang am 4. Mai 2024

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