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Die Fluhmühle als verkehrspolitische Luzerner Manövriermasse

Dem Reusstal und seinen BewohnerInnen scheint verkehrsmässig alles zuzumuten zu sein. Vieles steht noch in den Sternen und doch werden schon Fakten geschaffen. Ein Blick zurück und nach vorn in die spannende Verkehrsgeschichte der Grenzregion Fluhmühle.

«Luzern - where the seventies survived», Illustration von Samuel J. Bucheli - digitale Montage auf verfremdetem GoogleEarth (©2018 Google)
«Luzern – where the seventies survived», Illustration von Samuel J. Bucheli – digitale Montage auf verfremdetem GoogleEarth (©2018 Google)

Es vergeht kaum ein Tag ohne Berichterstattung in irgendeinem Zentralschweizer Medium über die «Spange Nord». Der neuste Artikel titelt: «Grundstückpreise entlang der Spange Nord» steigen (LZ, 5.4.2019). Dabei bezieht sich der Artikel wie fast immer auf den durch die Spange Nord massiv belasteten Abschnitt Schlossberg/Friedental bis Lochhof. Fast bekommt man den Eindruck, die Spange Nord würde hier enden, dabei wird sie ab Lochhof erst so richtig spektakulär! Denn ab hier soll dereinst auf die andere Seite der Reuss eine gigantische Brücke in die Fluhmühle führen. Selbst in der sehr spekulativen, da milliardenschweren Variante Haldenstrasse (Tunnel von der Halde bis zum Lochhof) ist die Brücke Richtung Fluhmühle vorgesehen – ausser in einer optionalen Zusatzvariante.

Dem Reusstal und seinen BewohnerInnen scheint verkehrsmässig alles zuzumuten zu sein. Vieles steht noch in den Sternen und doch werden schon Fakten geschaffen: Auf der Hauptstrasse bei der Fluhmühle wird dreispurig geplant und die Baugerüste beim Viadukt auf der Hauptstrasse sind schon ausgesteckt. Für das Projekt K13 wird das Viadukt höher gelegt (ca. 2,4 Meter). Sicherheitsgründe werden seitens der Behörden angefügt und in sprachlichen Kapriolen wird verlautbart, dass das Viadukt zwar anschlussfähig an die Spange Nord sei, jedoch das Ganze keinesfalls präjudizierenden Charakter habe. Die Fluhmühle als verkehrspolitische Manövriermasse, das hat Tradition.

Luzerns Nadelör

Wie ein roter Faden zieht sich das Thema Verkehr und Infrastruktur durch die Geschichte der linksufrigen Gebiete (Reussinsel-Fluhmühle-Reusstal-Reussbühl) zwischen Luzern und Emmenbrücke. Bis ins Mittelalter versperrten schroffe Felsen eine direkte Verbindung auf dem Talboden, dafür war die Reuss noch die zentrale Luzerner Verkehrsader. Nach verschlafenen Jahrhunderten am Flussufer katapultierten Eisenbahn und Industrialisierung das Reusstal aber abrupt in die Moderne. Auf der Reussinsel machten sich Stadtluzerner Industriepioniere ans Werk und brachten mittels Wasserkraft Hämmer und Keilriemen in Schwung. Neben den Luzerner Industriegrössen von Moos und Schindler waren auch Diamantschleifer, Darmfabrikanten, Holztypenproduzenten und Ladenbauer am Werk. Gerade jetzt ziehen die letzten Gewerbetreibenden aus, und die Transformation vom Industriestandort zur Wohnzone an der Reuss nimmt ihren Lauf.

Das definitive Ende der Idylle Ibach: Autobahnbau. Bereits die staugeplagte Hauptstrasse, Basler- und Zürcherlinie zwängen sich durchs enge Reusstal, Bild ca. 1971, Quelle: SALU N1_05_536
Das definitive Ende der Idylle Ibach: Autobahnbau. Bereits die staugeplagte Hauptstrasse, Basler- und Zürcherlinie zwängen sich durchs enge Reusstal, Bild ca. 1971, Quelle: SALU N1_05_536

Kann die Industrialisierung des Reusstals als abgeschlossener Prozess betrachtet werden, so nimmt die Mobilität weiterhin zu. Noch immer fährt fast jeder Zug nach und aus Luzern durch das Reusstal. Drei Zuglinien (ab 1859), das Tram (1901–1961) und schliesslich der aufkommende motorisierte Individualverkehr inklusive Autobahn (ab 1971) verwandelten diese Zone seit der Industriellen Revolution in einen dynamischen, aber bis an die Grenze des Erträglichen belasteten Sozialraum. Hier konzentriert sich Luzerns Verkehrsgeschichte in einem winzigen Punkt in maximaler Ausprägung auf minimaler Fläche (an der breitesten Stelle misst das Gebiet ca. 200 Meter). Hier ist es eng, schattig und feucht – und alles ist im Fluss.

Die Suche nach einem Dorfplatz

Der UntergRundgang Luzern führt in seinem neusten Stadtspaziergang (im Rahmen des Innerschweizer Kulturprojekts «Die andere Zeit» der Albert Koechlin Stiftung) ausgehend vom Kreuzstutz in die Fluhmühle. Daraus eine Episode mit typischem Charakter: Es geht um die Suche nach einem öffentlichen Platz für die BewohnerInnen der Lindenstrasse zur Zeit des aufkommenden Automobilismus in den 1920er Jahren. Damals war die heutige Lindenstrasse gemäss offiziellen Verkehrszählungen die meistbefahrene Strasse des Kantons. Entsprechend wuchs das «zur Dringlichkeit gewordene Bedürfnis» der Anwohner, im engen Strassenbild mit fast geschlossenen Baureihen eine freie Fläche als Begegnungszone zu erhalten: einen Dorfplatz.

Der Dorfplatz auf dem Gelände der ehemaligen «Liegenschaft Zimmeregg». Ca. 1923. Quelle: SALU N1.05.046.
Der Dorfplatz auf dem Gelände der ehemaligen «Liegenschaft Zimmeregg». Ca. 1923. Quelle: SALU N1.05.046.

Auf dem Grundstück einer halbverlotterten «Liegenschaft Zimmeregg» ergab sich durch den tragischen Tod des Besitzers Mathias Wicki eine Gelegenheit. Wicki war der letzte Besitzer der ältesten Liegenschaft an der Lindenstrasse und soll in seinen letzten Jahren gleichsam mit seinem Gebäude verwahrlost sein. Der Chronist der Kanalisationsgenossenschaft schildert, wie Wicki „in Frauenkleidern in den düsteren, gespensterhaft aussehenden Gemächern“ des Hauses herumgeschlichen und schliesslich 1923 beim Zersägen von Hausgebälk abgestürzt sei und den Tod gefunden habe.

FussgängerInnen, Velos und ein Lastwagen warten an der Barriere neben dem Wärterhäuschen, bis die aus dem Zimmereggtunnel brausende Dampflok ihres Weges gezogen ist. Bild vor 1929. Quelle: SALU N1.05.45
FussgängerInnen, Velos und ein Lastwagen warten an der Barriere neben dem Wärterhäuschen, bis die aus dem Zimmereggtunnel brausende Dampflok ihres Weges gezogen ist. Bild vor 1929. Quelle: SALU N1.05.45

In der Kegelbahn des angrenzenden Restaurants Gartenhaus wurde das «Wickihaus» versteigert und gelangte über Umwege an die «Schweiz. Viscosegesellschaft Emmenbrücke». Diese schenkte das Gelände auf Anfrage der Kanalisationsgenossenschaft Reusstal mit der Auflage, der Platz dürfe nicht bebaut werden. So entstand auf dem Grundstück, welches früher als Restauration diente und wo auch die 775 Arbeiter des Zimmereggtunnels (erbaut 1875) ab und an einkehrten, ein Dorfplatz. Sechs Jahre später wurde die Lindenstrasse durch den Bau des Viadukts und die neue Kantonsstrasse vom Hauptdurchgangsverkehr entlastet, der Dorfplatz dient aber heute noch als Spielplatz.

Fehlende und zu gewinnende Freiflächen für Spiel und Begegnung bleiben bis heute ein Dauerthema im Quartier. Der gegenwärtig grösste Spielplatz (Fluhmühlepark) soll bald für Bauinstallationen verwendet werden und im neusten Bebauungsplan für das Gebiet Fluhmühle-Lindenstrasse ist die Rede von einem neuen Hochhaus auf dem Areal der Garage Steiner, das nur in Kombination mit einem neuen Spielplatz gebaut werden kann. Es warten spannende Entwicklungen und fantastische Projekte auf ihre Verwirklichung – in der Fluhmühle, wo alles im Fluss ist.

Das neue Viadukt verändert die Fluhmühle. Zwei Barrieren fallen weg und der motorisierte Verkehr kann frei fliessen. Bild nach 1929. Quelle: SALU, V0 979
Das neue Viadukt verändert die Fluhmühle. Zwei Barrieren fallen weg und der motorisierte Verkehr kann frei fliessen. Bild nach 1929. Quelle: SALU, V0 979

Peter Lussy

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