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Luzern und seine Inseln

Dieses Jahr wäre im Rahmen des Fumetto auf dem Bahndamm der Reussinsel ein Kunstwerk entstanden. Da das Fumetto nun wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden musste und somit das Street-Art-Projekt, das vom Verein UntergRundgang wesentlich unterstützt worden wäre, nicht kommt, soll auf diesem Weg der einstigen Reussinsel Tribut gezollt werden. Denn Luzern ist heute eine Stadt ohne Inseln. Doch das war nicht immer so: Gleich drei Inseln prägten einst die Geschichte der Stadt.

Die Insel Altstatt. Frontispiz aus Christian Vollrath von Sommerlatt: Beschreibung der XXII Schweizer Kantone. Basel 1838
Die Insel Altstatt. Frontispiz aus Christian Vollrath von Sommerlatt: Beschreibung der XXII Schweizer Kantone. Basel 1838

Ein Freiheitsdenkmal auf der Insel

Heute erscheinen das Inseli und die Reussinsel zwar noch als Namen im Strassenverzeichnis, ihr Dasein als Inseln haben beide aber schon längst verloren. Dabei wurde auch in Luzern schon früh eine Insel als Touristenattraktion erkannt. Die Insel Altstatt «in der Nähe von Luzern» wurde im 18. Jahrhundert als Standort für die Errichtung eines Nationaldenkmals ausgewählt. Treibende Kraft war der französische Abbé Guillaume de Raynold, bekannt als literarischer Wegbereiter der Französischen Revolution, und aus Luzern der umtriebige General Franz Ludwig Pfyffer. Raynold wollte das Freiheitsdenkmal, ein Obelisk gekrönt mit einem vergoldeten Tellenapfel, zuerst auf dem Rütli aufstellen. Als die Urner Regierung das Geschenk ablehnte, kam die kleine Insel Altstatt beim Meggerhorn in die Kränze. Mit Unterstützung von Pfyffer wurde das etwa 30 Fuss hohe Monument 1783 aufgestellt.

In vielen Metropolen Europas zirkulierten Beschreibungen und Veduten des Freiheitsdenkmals auf der «Île près de Lucerne». Es gab erste Interessenten für Besuche. Goethe plante, dem Denkmal auf seiner dritten Schweizerreise von 1797 die Referenz zu erweisen. Soweit sollte es nicht kommen. Im August 1796 hatte ein Blitz, angezogen durch den Tellenapfel, das Denkmal getroffen, es konnte nicht repariert werden. Nicht wenige sahen darin ein Fanal für den drohenden Angriff der Franzosen auf die Alte Eidgenossenschaft. Ein Rezyklat des Obelisks steht bis heute im Friedhof von Malters als Denkmal für die getöteten Freischärler von 1845. Wenn Goethe das Denkmal auch nie zu Gesicht bekam, hatte er dennoch die Gelegenheit, den Standort auszumachen. Auf dem Relief der Zentralschweiz von General Pfyffer, das ihm anlässlich seines Aufenthaltes in Luzern gezeigt wurde, war das Denkmal auf der Altstatt mit einem Metallstift sichtbar gemacht.

Insel der Frühindustrialisierung

Tatsächlich war Luzern beim Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert arm an touristischen Attraktionen. Gerne wurden auswärtige Besucher zum Pfyfferschen Relief und zum Zwinglihelm im Zeughaus geführt. Ausländischen Reiseschriftstellern fiel, nebst den schlechten Strassen und den schönen Frauen, erstaunlich oft die mangelnde Industrialisierung auf. So schrieb der englische Historiker William Coxe 1776, in der Stadt habe es keine Manufakturen von Bedeutung und der Handel sei sehr schwach. Zudem sei der Bildungsstand tief und die Stadt entsprechend wenig kultiviert. «What a contrast to Zurich!».

Die Industrialisierung hatte in Luzern, im Vergleich zu anderen Kantonen, recht spät begonnen. Erste halbindustrielle Betriebe entstanden längs des Krienbaches, der die benötigte Wasserkraft lieferte. An der Reuss wurde die Wasserkraft in erster Linie durch die Mühlen bei der Spreuerbrücke genutzt. Der Beginn der intensivierten Nutzung der Reuss war das Jahr 1832, als die Mechanische Werkstätte Meyer die Erlaubnis erhielt, die Sandbank unterhalb des St.-Karli-Gebietes zu befestigen und mit einem Kanal zu erweitern: Die Reussinsel war geboren. Mit dem Einbau einer Schwelle in der Reuss wurde die Wasserkraft auf ein Wasserrad geleitet. Hundert Jahre hatte diese Insel Bestand und bot verschiedenen kleineren und grösseren industriellen Betrieben eine Heimat.

Die Reussinsel in einer idealisierenden Darstellung nach 1910. Frobenius Basel. STALU PA 1264/527
Die Reussinsel in einer idealisierenden Darstellung nach 1910. Frobenius Basel. STALU PA 1264/527

Als erste entdeckten die Gebrüder von Moos die Insel. Um ihren Eigenbedarf abzudecken, erwarben sie 1842 den südlichen Teil der Reussinsel, richteten einen kleinen Drahtzug und eine Stifte- und Nagelschmiede ein. Die Firma von Moos arbeitete sehr erfolgreich. Der Platz auf der Insel wurde ihr schon bald zu knapp und sie expandierte auf die Emmenweid. Der Erfolg der Firma Von Moos und die Wasserkraft zogen weitere Firmen auf die Reussinsel. 1874 gründeten Robert Schindler und Eduard Villiger eine mechanische Werkstätte auf der Reussinsel. Vorerst waren sie hauptsächlich auf Einrichtungen für die Landwirtschaft und für Mühlen ausgerichtet. Sie hatten Erfolg und expandierten nach 10 Jahren auf die Sentimatte. Es entstand ein bedeutender Aufzugsproduzent. Weitere heute kaum mehr bekannte Firmen zog es auf die Reussinsel. So die Diamantschleiferei Eduard Drexler, der grösste Betrieb seiner Art in der Schweiz und die Holztypenfabrik Roman Scherer. Scherers Holztypen, das sind Buchstaben und Symbole aus Birnbaumholz, verkauften sich weltweit.

1912 stellte die Firma Von Moos die Produktion auf der Reussinsel endgültig ein. 1927 wurden das Gelände und die alte Fabrik an Obrist Ladenbau verkauft. Mit Obrist wurde eine neue Zeit auf der Reussinsel eingeleitet, die Reussinsel verschwand endgültig. Als die SBB 1932 den Bahndamm auf drei Gleise erweiterten, packte Obrist die Gelegenheit und liess den Industriekanal zuschütten. Obrist gewann dadurch Platz und eine Insel ging verloren.

Lisa Meyerlist: Reisecars auf dem Parkplatz Inseli. 1963, STALU FDC 102/1506.11
Lisa Meyerlist: Reisecars auf dem Parkplatz Inseli. 1963, STALU FDC 102/1506.11

Der Inselschwund

Nur zwanzig Jahre später erlitt das Inseli beim Bahnhof das gleiche Schicksal. Um Platz für den aufkommenden Cartourismus zu gewinnen, wurde 1954 der Kanal zwischen Ufer und dem Inseli zugeschüttet. Aus dem Inseli wurde eine Halbinsel, an deren Rand bis heute die Idylle durch unzählige Reisecars gestört wird. Eine Änderung dieser Situation wird erfreulicherweise angestrebt.
Auch wenn nun der argentinische Fumetto-Künstler Pablo Boffelli seine Traumvorstellung einer Insel am Rande der ehemaligen Reussinsel nichtverwirklichen wird, die Luzerner Inseln werden nie ganz aus dem Gedächtnis der Stadt verschwinden.

Hans Jurt

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