Die Entwicklung des Untergrund-Quartiers an der Baselstrasse
Das Untergrund-Quartier ist geprägt von Multikulturalität und der stark befahrenen Baselstrasse. Was heute wegen der tiefen Mietpreise wieder zur hippen Wohnlage wird, bewegte sich früher zwischen Alleebäumen und Disziplinierungsanstalten.
Motoren wummern, Abgase hängen in der Luft. Kein Luzerner Stadtrundgang findet unter so erschwerten Bedingungen statt wie der «UntergRundgang» in der Baselstrasse. Vor einem tamilischen Laden versuche ich zu erklären, dass Sozialgeographen des Bundesamts für Statistik das Untergrundquartier zum Hotspot von Multikulturalität erklärt haben. Menschen von über 70 Nationen wohnen hier. Und jeden Tag quälen sich zwischen Kreuzstutz und Kasernenplatz 20’000 Autos durch.
Dabei gibt es einen klaren Zusammenhang zwischen Verkehrsbelastung und dem hohen Anteil von ausländischer Wohnbevölkerung. Lärm und Gestank senken die Mieten. Und so erklärt sich auch, dass im Untergrund nach der Erhebung von Lustat Statistik Luzern der Mittelwert der monatlichen Wohnungsmieten (2- bis 3-Zimmer-Wohnungen) mit 1050 Franken am günstigsten in der Leuchtenstadt ist.
«Trolleybus – das grosse Plus»
Vor der grossen Automobilmachung fanden sich in der Baselstrasse noch Alleebäume. In der noch wenig befahrenen Strasse verkehrte selbst noch eine Tramlinie nach Emmenbrücke. Dann aber kam der Autoboom der 1950er-Jahre. Die Verkehrspolitik der Stadt lautete «Trolleybus – das grosse Plus». Die Tram kam weg, die Häuser rings um den Kasernenplatz machten Platz für den Autobahnzubringer und die Zahl der Kraftfahrzeuge sprang von Jahr zu Jahr mehr in die Höhe.
Ein bisschen war es schon immer so. Bis ins Mittelalter zurück versammelten sich in dem damaligen Quartier St.-Jakob-Vorstadt die Ungunstfaktoren städtischen Lebens. In den Spitälern fanden sieche Pilger (St.-Jakob-Spital) und an den Rand gedrängte Stadtbewohner (Sentispital) ihr Asyl. Auch der Henker hatte dort seinen Richtplatz, wo sich der heutige Parkplatz der Pädagogischen Hochschule (ehemaliges Schindlerareal) befindet.
Baselstrasse als Disziplinierungsmeile
Dann aber differenzierten sich die städtischen Sozialanstalten. Die Baselstrasse verwandelte sich im 19. Jahrhundert zur Disziplinierungsmeile mit Waisenhaus, Sentianstalt, Haus für «gefallene Weiber» und natürlich dem grossen kantonalen Gefängnis.
Der Jahresbericht des Gefängnisses von 1865 zeigt sich besonders rücksichtsvoll gegenüber der mittlerweile proletarischen Bevölkerung des Quartiers. «Streng vegetabilische Kost» wurde verordnet – Kartoffeln! Kartoffeln! Kartoffeln! –, um nicht den Neid der «schlecht genährten, darbenden, ehrlichen Bevölkerung zu erregen».
Der Umzug des Gefängnisses 1948 ins Wauwilermoos war damit verbunden, das «neue Wohnen» mit modernen Wohnungen ins Quartier zu tragen. In der Überbauung Sentihof der Patria-Versicherung entstanden die teuersten Mietwohnungen der Stadt. Der Preis für den Komfort des mit elektrischen Helfern ausgestatteten Haushalts war hoch. Denn die Wohnungen waren mit allen technischen Raffinessen der damaligen Zeit ausgestattet (Elektroherde mit elektrischen Backöfen, fliessendes heisses Wasser aus Mischbatterien, Waschküche mit Waschmaschinen).
Unattraktive Wohnlage wird hip
Bald aber sollte auch diese «soziale Aufwertung» des Quartiers versanden. Neubauten nahmen die Sicht auf Reuss, See und Berge, der Verkehrsmoloch machte dem idyllischen Wohnen im begrünten Innenhof ein Ende. Bis Ende der 1990er-Jahre war der grosse Innenhof mit parkierenden Autos zugestellt.
Nach dem Jahr 2000 begann dann wieder an den Rändern des Quartiers eine Offensive für «Schöner Wohnen» im gehobenen Preissegment. Mit Gütschhöhe und der Bebauung der Axa-Versicherung auf der Reussinsel entstanden zwei Grossprojekte, die als Vorboten einer Gentrifzierung gedeutet werden könnten.
Dass das Quartier vor einem Miet-Upgrade steht, befürchtet nun Cyrill Studer, Geschäftsleiter des kantonalen Mieterverbandes. Die vielen kleinen Läden mit ihrem ausländischen Flair kombiniert mit den neuen Stätten des Luzerner Nachtlebens könnten nach Studer zur Verdrängung der sozial schwachen Mieter führen. Gegenüber der Luzerner Zeitung sagte er: «Dass Viertel mit tiefen Mietzinsen und hohem Ausländeranteil an unattraktiver Wohnlage hip werden, beobachten wir auch in anderen Städten wie Zürich oder Basel. Erst recht, wenn sie mit aufwendigen Haussanierungen einhergehen, dank denen der Lärm draussen bleibt.»
Indes: Im von der Eisenbahn durchschnittenen Untergrund wird gehobenes Wohnen nur auf der reusszugewandten Seite partiell möglich sein. Also eine Gentrifizierung im grossen Stil steht wohl nicht an. Thomas Glatthard, Geschäftsführer des Vereins BaBeL, sagt dazu: «Dank Verkehr und Gütschhang, der im Winter vor der Sonne steht, wird unser Quartier für das obere Mietersegment nicht interessant.» Was ihm aber Sorge macht: «Oft werden bei Sanierungen die Mieten verdoppelt.» Das Thema Liegenschaften steht denn auch ganz oben auf dem BaBeL-Aktionsplan.
Delf Bucher