«Bis das Blut an die Decke hinauf spritzt»
Geschichten von Migration und Flucht sind die Hauptthemen des Untergrundgangs. Ein neuer Archivfund belegt nun, welch sadistische Szenen sich im als Interniertenheim genutzten Hotel Château Gütsch zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs abspielten. Delf Bucher stieg für uns ins Archiv:
Märchenschloss, Gralsburg, Hochzeitstorte, weisse Kapuze über Luzern, turmbewehrtes Schlosshotel oder emotionales Wahrzeichen: Beim Verteilen der Superlative für das Château Gütsch hoch über Luzerns Untergrund geizten Kunsthistorikerinnen, Stadtarchitekten und Journalistinnen nie. Prominente Gäste wie Charlie Chaplin, Herbert von Karajan, Sophia Loren, Benjamin Britten und Alfred Hitchcock verleihen dem Schlosshotel einen Hauch von Glamour.
Die lange Leidensgeschichte des Gütsch-Hotels
Dann aber hat sich 2003 der böse Geist des Oligarchen Alexander Lebedev eingenistet. Der wollte zuerst das Märchenschloss aus seinem albtraumartigen Dornröschenschlaf wecken. Es wurde eine lange Leidensgeschichte, bei der die Luzerner bald nicht mehr glauben wollten, dass die Portale des Hotels jemals öffneten. Die Verzweiflung war gross und so brachte 2011 der damals noch amtierende Luzerner Stadtpräsident Urs W. Studer den städtischen Kauf des Gütsch-Hotels ins Spiel.
Nun, irgendwie schaffte es der ehemalige KGB-Spion doch noch, die Renovation vorwärtszutreiben. Aber so recht wollte das Hotelleriebusiness nicht in Gang kommen, die Direktoren gaben sich fortlaufend die Türklinke in die Hand. Ein Wechsel folgte auf den anderen. So atmete man auf, als ein neuer Oligarch, Kirill Androsov, die Geschäfte übernahm. Der Krieg in der Ukraine hat nun aber den Hotelbesitz wieder in die Schlagzeilen gebracht.
Vom Oligarchen in die Hände eines anderen Oligarchen
Wie stark ist der neue Besitzer mit Putin verbandelt und wie eng ist sein rascher Reichtum mit dem korrupten Herrschaftssystem verknüpft? Viele Mandate sprechen dafür, dass der Schlosshotelbesitzer zumindest lange Zeit ganz nahe dem Putin-Kosmos war. Und so hört man denn auch: Statt sich mit dürren Statements vom Ukraine-Krieg zu distanzieren, sollte das Gütsch ukrainische Kriegsflüchtlinge aufnehmen.
Die Verfolgten abschrecken
Domizil für Geflüchtete war das Château Gütsch bereits während des Zweiten Weltkriegs. Was sich aber hinter den Mauern für Schreckensszenen abspielten, ist bisher wenig ausgeleuchtet worden. Ein Zufallsfund im Luzerner Staatsarchiv gibt einen Einblick in diesen Vorhof der Hölle, der ganz dem eidgenössischen Grundsatz folgte: Mit Abschreckung die verfolgten Menschen des Naziregimes von einem Grenzübertritt abzuhalten.
Bereits vor Kriegsbeginn 1939 gab der Chef der eidgenössischen Fremdenpolizei dieses Abwehrdispositiv durch: «Wir haben nicht seit zwanzig Jahren gegen die Zunahme der Überfremdung und ganz besonders gegen die Verjudung der Schweiz gekämpft, um uns heute die Emigranten aufzwingen zu lassen.»
Einer seiner Luzerner Vollstrecker, der Oberstleutnant Bosshard, Kommandant des Flüchtlingslagers Gütsch, legte rhetorisch noch an Schärfe zu, indem er seinem Stab als Handlungsmaxime empfiehlt: Die Geflüchteten zu peitschen, «bis das Blut an die Decke hinauf spritze».
Menschenquälende Horrorgeschichten im Luxushotel Gütsch
So jedenfalls berichtet es der etwas pedantische Hilfsgerichtsschreiber mit abgebrochenem Jurastudium, A. Schmid, dem christkatholischen Pfarrer Otto Gilg. Die Korrespondenz findet sich im Staatsarchiv und wenn die Schmidschen Aussagen einigermassen glaubwürdig sind, dann haben sich hinter den Mauern des Luxushotels Gütsch menschenquälende Horrorgeschichten während des Zweiten Weltkriegs abgespielt.
Viele Geschichten hat der gescheiterte Jurist aus kleinbäuerlichen Verhältnissen minutiös dem Geistlichen geschildert. Wie Kommandant Bosshard die Post zensurierte, sie über Wochen den Internierten nicht aushändigte und manchmal gleich im Papierkorb entsorgte.
Auslieferung als Drohung
Einen ungewöhnlichen Sadismus legte der Kommandant gegenüber der italienischen Familie Segre an den Tag. Als sich die ungefähr 20-jährige Tochter Luciana beim Kartoffelschälen in die Finger schnitt, vermutete der Kommandant einen bewussten Sabotageakt, damit sie sich vor der Arbeit drücken könne. Er liess die junge Frau abführen und in ein finsteres Kellerverlies einsperren, in dem sich neben viel Unrat auch Haufen von Rinderknochen stapelte.
Als die Eingesperrte englische Sprüche auf Bretter anbrachte, zeigte der Kommandant, wie er seine Machtposition ausleben konnte. «Er drohte der Mutter und der Tochter, sie an die Grenze zurück zu schieben und ausliefern zu lassen, bis sie sinnlos vor Angst weinten», so Schmid in seinem Rapport.
«Sie sollen doch verrecken»
Eine andere Demütigung widerfuhr der Belgierin Dyner. Aufgrund einer vermuteten Blinddarmentzündung war sie bettlägerig. Als die Krankenschwester der Belgierin eine Mahlzeit ans Bett bringen wollte, untersagte dies der Kommandant. Sie müsse wie alle anderen ihr Essen im Saal einnehmen.
«Wenn sie nicht wolle, solle man sie zum Bett heraus werfen und die Treppen hinunterstossen und wann sie immer noch nicht mehr hinauf gehen wolle, hinauf schleifen, dann werde sie schon gesund. Die Schwester entgegnete, das könnte ihr Tod sein, woraufhin der Kommandant antwortete, sie solle doch …, dann sei eine weniger», so protokolliert Schmid die Ereignisse. In der Dienstzeit von fünf Wochen hat er viele makabre Szenen miterlebt. Sein Protest dagegen führte dazu, dass er selbst arretiert wurde und kein Gehör beim Militärrichter fand. Glück für die Nachgeborenen, dass er dem christkatholischen Geistlichen berichtete.
Bankbenutzung für Juden verboten
Denn über die Geschehnisse in den Interniertenlager ist wenig bekannt. Immerhin findet sich im Staatsarchiv eine Zeitungsreportage mit dem Titel: «Wie leben unserer Flüchtlinge? Blick in das Flüchtlingsheim Tivoli in Luzern.» Eine Idylle wird hier im Arbeitslager des Hotels Carlton Tivoli in der Haldenstrasse vorgeführt, wie jüdische Frauen, im Frieden mit sich selbst, befriedigende Arbeit für das Schweizer Rote Kreuz verrichten.
Wahrscheinlich war der Artikel in der guten Absicht geschrieben worden, für mehr Verständnis für die Geflüchteten zu werben. Denn dass diese jüdischen Frauen vielen Vorurteilen begegneten, wird jedem klar, der sich das strenge Reglement des Frauenarbeitslagers vergegenwärtigt. Den Internierten war es verboten, die Seebrücke und die innere Stadt von Luzern zu betreten. Auch Bahnhof, Kunst- und Kongresshaus waren für dsie Tabu. Selbst das Vergnügen, auf den Bänken der Uferpromenade zu sitzen, wurde ihnen untersagt.
Verwendete Quellen
- Staatsarchiv Luzern PA 363/317