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Warum die Reformation in Luzern nur einen Tag dauerte

Unerhörtes am Musegg-Umgang vor 500 Jahren

Anders als in vielen anderen Schweizer Städten hatte die Reformation in Luzern keine Chance – obwohl die geistige Elite auch hier für die neuen Ideen aufgeschlossen war. Das Schlüsselerlebnis war eine aufsehenerregende Predigt des Reformators Conrad Schmid beim Musegg-Umgang im Jahre 1522. Ein Beitrag von Delf Bucher.

1340 brannte die Stadt Luzern lichterloh. Und da es damals keine Brandversicherung gab, erflehte man mit einem Bittgang den Schutz vor Feuersbrunst. Jährlich wiederholte sich die Prozession. Im 15. Jahrhundert aber spielte ein anderes höllisches Inferno in diesen jährlich stattfindenden Bittgang hinein, gemeinhin als Musegg-Umgang bis heute bekannt. Die Angst, im Flammenmeer des Fegefeuers zu schmoren, die Bedrohung der Höllenstrafen durch einen rächenden Gott, hatten sich tief in das kollektive Bewusstsein eingepflanzt.

Päpstliches Angebot

So war man froh, dass Papst Sixtus IV. im Jahr 1449 den Luzernerinnen ein besonderes Geschenk machte. Er offerierte ihnen, wahrscheinlich gegen Geld, einen grosszügigen Ablass. Wer an dem Musegg-Umgang teilnahm, dem wurden so viele Sünden aus seinem Strafregister getilgt, als hätte er die beschwerliche Wallfahrt nach Rom auf sich genommen. Weshalb auch der Bittgang den Beinamen «Romfahrt» erhielt.

Merian-Stadtansicht zeigt den Weg des Umgangs zur Museggmauer von der Hofkirche über die Kapellbrücke entlang der Mauer des Hirschengrabens zur Museggmauer. (Bild: zvg)
Merian-Stadtansicht zeigt den Weg des Umgangs zur Museggmauer von der Hofkirche über die Kapellbrücke entlang der Mauer des Hirschengrabens zur Museggmauer. (Bild: zvg)

Der Sünden-verzeihende Gott

Die von Höllenängsten geplagten Menschen wurden zur Leistungsfrömmigkeit aufgepeitscht. Der Papst verwandelte den Ablassbrief in einen vatikanischen Dukatenesel. Messen für die toten Seelen wurden zum Geschäft der Chorherren und die Heiligen zum Spendenmagnet für Wallfahrtsorte. Ausgerechnet zu einer diesen Pilgerfahrten, eben der Musegg-Predigt, lud man überraschend Conrad Schmid als Festprediger: am 24. März 1522, also ziemlich genau vor 500 Jahren.

Unerhörtes mutete der reformiert gesinnte Geistliche einem Publikum von mehreren tausend Prozessionsteilnehmenden zu. Denn er bestritt alles, was der alte Glaube bisher die von Erbschuld beladenen Menschen lehrte. Erbaulich und einfühlend predigte er von einem gnädigen Gott, auch gegenüber den Sündern. Bildhaft charakterisierte er einen verzeihenden Gott der Liebe.

«Gott wird mit den Augen blinzeln und durch die Finger auf unsere Sünden schauen, so, also ob er unsere Sündhaftigkeit weder gesehen noch gehört hat.» Da in der Heiligen Schrift weder der Papst als Stellvertreter Christi auf Erden angekündigt war noch von Fürbitten für die Heiligen oder von Ablässen, um die Bratzeiten im Fegefeuer zu verkürzen, die Rede war, stellte er alle Kulte und Ritualhandlungen infrage.

Die Heilige Schrift für Laien

Wie aber kam der Humanist und spätberufene Theologe (1476–1531), Vorsteher der Komtur des Johanniterordens aus Küsnacht am Zürichsee, dazu, bei einer der prunkvollsten Prozessionen der Innerschweiz die neue Lehre mit ihrer Maxime «Sola scriptura – nur die Schrift» zu predigen? Conrad Schmid verdankte dies der humanistischen Elite. Diese hatte auch in den Kirchen und Klöstern rund um Luzern ihren Erasmus, den Meisterdenker der mitteleuropäischen Renaissance, gelesen.

Der Humanist aus Rotterdam wollte den Glauben aus den Fesseln mittelalterlicher Dogmen befreien; er wollte, dass die Bibel in der Sprache der Menschen verkündet würde. Die Botschaft der Heiligen Schrift sollte nicht den Gelehrten vorbehalten sein, sondern sich auch an die Laien richten. Sie sollte, nach dem Wunsch von Erasmus, von Bauern, von Handwerkern, von Steinmetzen, Dirnen und Kupplern genauso gelesen werden.

Für diese neuen, humanistisch geprägten Ideen war die geistige Elite Luzerns aufgeschlossen. Hans Jurt, der über Conrad Schmid eine grössere Arbeit verfasste, schätzt, dass 60 Prozent der Geistlichkeit in Klöstern und Kirchen des Kantons Luzern dem reformatorischen Gedanken gegenüber offen waren.

Conrad Schmid in einem Fantasieporträt aus dem 19. Jahrhundert. (Bild: Wikipedia)
Conrad Schmid in einem Fantasieporträt aus dem 19. Jahrhundert. (Bild: Wikipedia)

Kriegsgewinnler für alte Kirche

Aber die Geistlichkeit alleine reichte nicht, um einen Epochenumbruch herbeizuführen. Dazu hätte es die politisch Mächtigen gebraucht. Diese waren in Luzern Militärunternehmer und Pensionsherren, die mit der Rekrutierung von Reisläufern grosse Menschenhandelprofite erzielten. Schmids wie auch Zwinglis harsche Kritik am Söldnerwesen stiess bei der herrschenden Luzerner Elite auf schroffe Ablehnung.

Im Gegensatz zu den von Handwerkszünften dominierten Städten wie Zürich, Basel, Schaffhausen oder St. Gallen, die sich allesamt der Reformation anschlossen, hatten in Luzern die Zünfte in der schon seit Langem von Patriziern beherrschten Stadt wenig zu sagen.

Der Hofkirchen-Dekan Johannes Bodler und der traditionell gesinnte Klerus behielten nicht nur in Luzern die Oberhand, sondern in der ganzen Innerschweiz. Reformationsfreunde wurden noch im selben Jahr ins Exil getrieben, humanistische Schriften verbrannt. Conrad Schmid und sein Freund Huldrych Zwingli sollten neun Jahre später, im Oktober 1531, auf dem Schlachtfeld von Kappel den Tod finden.

Vielleicht reihte sich auch der eine Priester als Feldprediger bei der Innerschweizer Kriegsschar ein, der bereits prophetisch und bösartig bei Schmids Predigt kundtat: Man solle doch den Prediger von der Kanzel werfen, sodass sein Hirn auf dem Kirchenboden aufspritze.

Versprechen nicht eingelöst

Indes soll nicht unerwähnt bleiben, dass die reformierten Neuerer ihre Versprechungen nicht umsetzten. Das anfangs postulierte Priestertum aller Gläubigen, das sich als Konsequenz aus dem nun offenen Zugang zur Bibel für alle ergeben hatte, wurde nicht eingelöst. Der Gedanke an Glaubensfreiheit legte einen langen Weg zurück, gesäumt von Hunderttausenden von Toten der europäischen Glaubenskriege. Trotzdem kann man konstatieren: Die von Conrad Schmid damals vor 500 Jahren verkündeten reformatorischen Aufbrüche öffneten zumindest einen kleinen Spalt der bis dahin gut verschlossenen Tür zur Religionsfreiheit.

Museggmauern in der Diebold-Schilling-Chronik 1513. (Bild: Eigentum Korporation Luzern, ZHB Luzern)
Museggmauern in der Diebold-Schilling-Chronik 1513. (Bild: Eigentum Korporation Luzern, ZHB Luzern)

Ein Gedanke zu „Warum die Reformation in Luzern nur einen Tag dauerte“

  1. Etwas spät, aber trotzdem: Dieser Rundgang war eine spannende Reise in ein mir bisher völlig unbekanntes Geschehen in der Vergangenheit. Herzlichen Dank an Herrn Bucher für die äusserst interessante Führung.

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