Der Kaffeeröster Hochstrasser ersparte sich die Mohrenkopf-Debatte und trennte sich 2012 vom Markennamen «Negerli ganz fein». Die Spuren des Anbaus des Kolonialprodukts führen auch ins Quartier Untergrund und und geben einen der Gründe an, warum so viele tamilische Bürgerkriegsflüchtlinge dort ein neues Zuhause fanden.
Wenn mein Nachbar mir trotzig erklärt, er werde weiterhin Mohrenkopf sagen, wenn meine Tochter fragt, ob die Alfred-Escher-Statue in Zürich wegen angeblicher Verwicklung in Sklavenhandel verschwinden sollte und mein elfjähriger Sohn Bilder von Anti-Rassismus-Demos aus den USA auf TikTok Bilder zeigt, dann ist es gewiss: Das Thema Rassismus ist auch in der Schweiz angekommen.
Im Jahre 2000, als wir vom Untergrund den Rundgang «Fremdsein, heimisch werden» planten, war die schwarz-weisse Problemlage noch nicht tief im helvetisch-kollektiven Gedächtnis verankert. Als uns das Bild vor dem Lagerschuppen der ehemaligen Kaffeerösterei Hochstrasser im Archiv ins Auge stach, das noch Mitte der 1970er Jahre an der Baselstrasse mit dem «Negerli» neben der Aufschrift «der unvergleichlich gute Hochstrasser Kaffee» prangte, wollten wir wissen: Geht das in Zeiten politischer Korrektheit noch?
Seit 2012 «Negerli-frei»
Der Marketingverantwortliche des mittlerweile vom Kasernenplatz nach Littau gezügelten Kaffeerösters beschied uns: Man habe das Problem erkannt und das «schwulstlippige Negerlein mit Ohrringen» von der Packung wegretouchiert. Aber auf den Namen des einst als Spitzenqualität in den 1950er Jahren lancierten Kaffees «Negerlein ganz fein» wolle man nicht verzichten, da die Konsumentinnen und Verbraucher diese Kaffeesorte liebten. 2012 trennte sich Hochstrasser ohne grossen Lärm schliesslich von dem Namen
Das Negerli-Symbol als Markennamen wurde selbst in der Schweiz für Schmelzkäse verwendet und da die Glasbläser der Glasi Hergiswil abends mit russschwarzen Gesichtern nach Hause zurückkehrten, hiess das Arbeiterquartier wie in vielen Schweizer Orten «Negerdörfli». Durchgehend waren diese «Negerdörfli» es Wohngegenden der sozialen Unterschichten – also Versuche dem Volksmund zu unterstellen, hier eine liebevolle Bezeichnung kreiert zu haben, gehen ins Leere.
Koffein für Sufis
Zurück zum Negerli-Kaffee. Tatsächlich wird der Ursprung der Bohnen für den Bittertrank in Afrika – genauer in Äthiopien – verortet. Kaffee war zuerst das Genussmittel der «Ungläubigen». Sufi-Mönche haben in der Hafenstadt Mokka in Jemen, im heutigen al-Mukha, die ersten Kaffeebohnen geröstet, um bei ihren langen Exerzitien nicht einzuschlafen. So war anfangs das Geschäft mit Kaffee in der Hand arabischer Händler.
Die europäischen Nationen suchten Wege um an die begehrten Setzlingen der Kaffeebüsche zu kommen. Und so wurde im 18. Jahrhundert in Haiti und Anfang des 19. Jahrhunderts auch in Brasilien Kaffeeplantagen angelegt. Die Arbeitskräfte waren nun schwarze Afrikaner. Die blutige Bilanz der Toten durch die koloniale Kaffeeproduktion wird auf 500.000 Menschen geschätzt. Nimmt man noch den Zucker hinzu, dann kommt man auf Millionen von Toten.
Schweizer Söldner auf Java
Die Niederlande wiederum etablierten eine besonders krasse Sklavenhalter-Wirtschaft für den Kaffeeanbau auf der Insel Java, die den Holländer Eduard Douwes Dekker zu seinem antikolonialistischen Roman Max Havelaar anregte. Der Romanheld sollte dann mehr als hundert Jahre später dem berühmten Fairtrade-Siegel seinen Namen geben. Auf Java spielten auch Schweizer Söldner eine Rolle. Was zeigt: Das Binnenland Schweiz hat indirekt nicht nur über seine Textilindustrie, sondern auch über sein Söldnerwesen eine Rolle in der Kolonialgeschichte gespielt.
Was vielleicht überrascht: Die Plantagen von Java spielen auch eine Rolle für das Quartier Untergrund, in dem vierzig Prozent der in der Stadt Luzern lebenden Tamilen wohnen. Denn während der Napoleonischen Kriege besetzten die Engländer von 1811 bis 1814 die niederländische Insel Java. Die Erfahrungen mit den javanesischen Kaffeeplantagen inspirierte die britischen Teetrink-Imperialisten auf Ceylon, dem heutigen Sri Lanka, Kaffeeplantagen anzulegen. Da die Singhalesen sich aber nicht der harten Knute der Plantagenarbeit fügten, importierten die Briten Tausende von Tamilinnen und Tamilen aus Südindien. Das blühende Kaffeegeschäft ging indes aufgrund von Pflanzenseuchen zugrunde und wurde durch Teeplantagen ersetzt. Auf diesen arbeiteten ebenfalls Tamilen. Die Ursache für die Spannungen zwischen Tamilen und Singhalesen nahm also mit der kolonialen Kaffee-Geschichte ihren Anfang und mündete dann in den blutigen Bürgerkrieg (1983–2009), der auch viele Geflüchtete nach Luzern brachte. Viel blutige Geschichten kleben also an unserem Wachmachergetränk, das wir morgens hinunterstürzen.
Delf Bucher