Traugott Spiess industrialisierte das Luzerner Brauwesen. Am Ende blieben bei dem Konzentrationsprozess nur Spiess und Heinrich Endemann auf dem Eichhof übrig, die mit ihrer Fusion 1924 das Biermonopol für lange Zeit festigten.
«Im seltenen Alter von 89 Jahren ist das Leben von Traugott Spiess, dem Begründer der Bierbrauerei Spiess AG zum Löwengarten, erloschen», schreibt das «Luzerner Tagblatt» 1939. Im Nekrolog wird eine Lobeshymne auf den Brauer angestimmt, einem Mann «voller Unternehmungslust, Energie und Zähigkeit». Schnell avancierte der Löwengarten, den Spiess 1878 übernahm, zur Nummer eins in dem damals noch weitverzweigten Luzerner Bierkosmos. Bescheiden startete er 1878 mit 8000 Hektoliter Bierausstoss. Etwas mehr als 30 Jahre später hatte sich die Produktion mit 87’000 Hektolitern mehr als verzehnfacht.
Kältemaschine statt Natureis
Worin liegt diese rasante Entwicklung begründet? Spiess war von Anfang an bestrebt, sein Bier das ganze Jahr auszuliefern – damals keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Denn bei sommerlichen Temperaturen kippte das Bier oft. Deshalb beschaffte sich Traugott Spiess Natureis nicht nur vom nahen Rotsee, sondern auch aus dem Klöntal, aus Davos oder vom Grindelwaldgletscher.
Als der Ingenieur Carl von Linde in der Biermetropole München das Prinzip der Dampfmaschine umkehrte und die Kaltdampfmaschine erfand, dauerte es nur wenige Jahre, bis die Kältemaschinen auch in den Kellern der Löwengarten-Brauerei in der Zürichstrasse brummten. Schon vier Jahre zuvor, im Jahr 1884, wurden die Kesselanlagen im Brauhaus mit Dampfmaschinen betrieben.
Spiess nutzte nicht nur konsequent jede technische Innovation im Brauwesen, sondern bewies von Anfang an ein Gespür für Marketing. Der Einstieg in Luzern in eine Brauerei, die den Namen des schlafenden Thorvaldsen-Löwen geborgt hatte, garantierte ihm von vornherein in der sommerlichen Tourismussaison im Löwengarten einen beachtlichen Umsatz. Mit den Jahren baute er ihn zum stattlichen Etablissement um. Mit der ganz grossen Kelle rührte er 1892 an, als er einen Saalbau mit 1000 Plätzen errichtete. Dort lockten Variété und Musikkapellen die Menschen auch bei schlechtem Wetter in den Löwengarten.
Fetisch-Priesterinnen aus Togo
Auch bizarr-rassistische Volksbelustigung wurde auf der Bühne dargeboten. Mit «Neu! Neu! Neu!» war die Anzeige im «Luzerner Tagblatt» im Juli 1898 überschrieben, um für die Togo-Truppe mit «35 schönen Mädchen aus Westafrika» die Werbetrommel zu rühren.
Die Schau war nicht nur Lizenz, um mehr nackte Haut zu zeigen, als die puritanische Moral der damaligen Zeit sonst erlaubte, sondern auch Einfallstor für rassistische Stereotypen. So werden die Frauen aus der deutschen Kolonie Togo als Fetisch-Priesterinnen angepriesen. Der Löwengarten erregte nicht nur Aufsehen beim Publikum mit aus heutiger Sicht fragwürdigen Togo-Exoten-Shows, sondern zog mit anderen Attraktionen wie schuhplattelnden bayerischen und österreichischen Volksmusikkapellen oder zackiger Militärmusik die Touristen an.
«… vergiss die Peitsche nicht»
Neben Völkerschau und Volkskultur lieferte der Löwengarten im Jahre 1882 einen kuriosen Beitrag zur Kulturgeschichte. Im damals noch lauschigen Biergarten im Maien schüttete der Meisterdenker Friedrich Nietzsche gegenüber Lou Andreas-Salomé sein Herz aus und trug der klugen Frau die Heirat an. Aber die autonome Angebetete, Feministin avant la lettre, Dichterin und Philosophin, gab dem Mann mit der hohen Denkerstirn und dem gewaltigen Schnauz einen Korb.
Geradezu ironisch inszenierte die von vielen Intellektuellen angebetete Lou das Treffen in einem nahen Fotostudio von Jules Bonnet in der Zürichstrasse. Vor alpiner Kulisse liess sie Nietzsche und seinen Freund Paul Rée (auch er scheiterte mit seinem Heiratsantrag) vor den Karren spannen. Als Kutscherin hielt sie die Peitsche in der Hand.
Ob dem Träumer vom Übermenschen danach die Maxime in den Sinn kam, für die er bis heute selbst bei philosophisch Desinteressierten in Erinnerung geblieben ist – «Wenn du zum Weibe gehst, vergiss die Peitsche nicht»?
Jules Bonnet hat auch andere prominente Gäste in Luzern fotografiert, beispielsweise Richard Wagner. Der aus Frankreich Zugewanderte wurde 1925 mit seinen damals sagenhaften 85 Jahren als ältester Luzerner Bürger aufgeführt. Aber die ersparten Batzen, die sein Fotostudio abwarf, reichten für sein langes Leben nicht. Armengenössig lebte er im Armenhaus des ehemaligen Bürgerspitals. 1925, sozusagen als sein Geburtsgeschenk, stand ein Umzug in die Villa des bereits 1914 verstorbenen Brauereibesitzers Heinrich Endemann an.
Der «bayerische» Brauer aus dem Ruhrpott
Hier kommt nun der zweite Braubaron in Luzern der damaligen Jahrhundertwende ins Spiel: Heinrich Endemann. Erkrankt an Malaria, wünschte sich der Sohn eines vermögenden Zechenbesitzers aus dem russigen Ruhrpott ein wenig Gebirgsluft um seine Nase. Andererseits brachte seine Frau als Tochter eines Grossbauern mit einer Mälzerei und Grossbrennerei einiges Know-how fürs Brauwesen mit in die Ehe.
Trotz des schon etablierten Platzhirsches Spiess sah Endemann gute Chancen, mit einer ähnlich modernen, industriell geführten Brauerei profitable Geschäfte in Luzern machen zu können. Das Quellwasser vom Pilatus lockte ebenso wie das nahe gelegene Trassee der Kriens-Luzern-Bahn in den Eichhof. So brodelten dann im Jahr 1900 die Maische- und Würzpfannen in dem neu eingerichteten Sudhaus. Dass Endemann anfangs das Unternehmen «Bayerisches Brauhaus» nannte, sollte ihm vom Vereinigten Bayerischen Brauereiverband eine Klage einhandeln. Schon bald hiess das neu gegründete Unternehmen «Luzerner Brauhaus AG».
Der Start war harzig. Mit der Immobilienkrise stürzte das Unternehmen in rote Zahlen. Endemann geizte nicht und brachte mit einer halben Million Franken neu eingeschossenem Kapital die Brauerei auf Kurs. Als vorteilhaft für die Auslastung seiner grossen Anlagen erwies sich der Kooperationsvertrag mit dem Verband Schweizerischer Konsumvereine (VSK), dem Vorläufer der heutigen Coop, die damals noch in Arbeiterhand war. Trotz dieser Kooperation riefen die Brauereiarbeiter 1912 gegen Endemann zu einem Bierboykott auf, da er sich wie andere Brauer gegen einen Gesamtarbeitsvertrag stellte.
Mit dem Ersten Weltkrieg blieben nicht nur die ausländischen Gäste in Luzern aus. Auch der heimische Biermarkt brach unter den immens steigenden Lebenshaltungskosten zusammen. Zudem wurde es immer schwieriger, Hopfen und Gerste zu importieren. Auch Kohle aus den Krieg führenden Nachbarländern fehlte, und die beiden Brauereien mussten sich mit anderen Industrien um den knappen Torf im Wauwiler Moos streiten. Letztendlich führte die Kohleknappheit im Ersten Weltkrieg, wie bei der Eisenbahn, bald zur vollständigen Elektrifizierung des Brauereiwesens.
Das Ende der Biervielfalt
Durch die existenzielle Krise durchgeschüttelt, streckten die beiden Brauer Spiess und Endemann 1917 die Fühler für eine Kooperation aus, die dann 1924 mit dem Zusammenschluss zu den «Vereinigten Luzerner Brauereien» vollzogen wurde. Damit war der Konzentrationsprozess im Brauereiwesen in Luzern abgeschlossen. Noch 30 Jahre zuvor gab es neben dem Löwengarten eine Vielzahl von Brauereien, die allesamt in dem kapitalintensiven Industrialisierungsprozess nicht mithalten konnten.
Verwendete Quellen
- «Zeitsprünge und Grenzgänge», Selbstverlag Untergrundgang, 2019
- «Der Eichhof», Selbstverlag Brauerei Eichhof, 1973
- «Das Brauwesen in der Stadt Luzern und einst und jetzt», Selbstverlag Vereinigte Luzerner Brauereien AG zum Eichhof 1937
- «Luzerner Tagblatt»
Liebe KollegInnen von Untergrundgang
Danke für den interessanten Artikel zu den Luzerner Bierbrauereien. Eine Anmerkung: Das Bild des Brauereiarbeiters von Max A. Wyss stammt nicht aus dem Stadtarchiv, sondern aus dem Staatsarchiv Luzern. Die korrekte Zitierweise lautet: Bild: Fotodok/Staatsarchiv Luzern FDC 76/988.1
Freundliche Grüsse
Jürg Schmutz
Herzlichen Dank für den Hinweis. Wir haben die Legende entsprechend angepasst. Freundliche Grüsse! Michael Weber