Wer hat nicht schon durch die Gitterstäbe an der Obergrundstrasse gespäht und sich gefragt, was es wohl mit dem stattlichen Gebäude auf sich hat? Erbaut vor über 250 Jahren, hätte das Herrenhaus Himmelrich einiges über seine Bewohner und das Quartier zu erzählen. UntergRundgängerin Judith Schubiger wirft ein paar Schlaglichter auf die Geschichte des Hauses.
Es sind wohl tausende von Autos, Bussen und Motorrädern und Velos, die täglich am Himmelrich vorbeirauschen. Wer von der Pauluskirche herkommend bei der Moosstrasse am Rotlicht warten muss und ein Auge für die Umgebung hat, wird es entdecken: Das Gebäude, das aus der Zeit gefallen scheint und Noblesse ausstrahlt – ein Zeuge des Spätbarocks, dicht bedrängt vom Verkehr und von den jüngeren Nachbarbauten. Früher war das anders: Das Himmelrich stand nicht mitten in der Stadt, sondern war ein Herrschaftssitz auf dem Land. Die Stadt war damals «weit» entfernt, sie konzentrierte sich entlang der Reuss und bei der Hofkirche.
Die Schumacher – vielseitige Luzerner Patrizier
Erbaut wurde das Haus 1772 von Franz Plazid Anton Leodegar Schumacher, Sohn einer Patrizierfamilie. Er war Ratsherr im Kleinen Rat von Luzern und Offizier und betätigte sich als Wissenschaftler und Architekt.
In den 1760er-Jahren wurde Franz Plazid Schumacher der Unterschlagung von Geld schuldig gesprochen und setzte sich 1763 mit seiner Familie nach Bologna ab. Dort studierte er Mathematik, Astronomie und Optik. Schliesslich wurde er rehabilitiert, kehrte nach Luzern zurück und baute auf der Himmelrich-Matte, die er von seinem Vater übenommen hatte, das Herrschaftshaus. Für sich und seine Sohn Franz Xaver richtete er ein wissenschaftliches Zimmer ein und setzte dem Bau ein Türmchen mit Observatorium auf.
Wie der Vater so der Sohn
Der Sohn hatte die gleichen Interessen wie der Vater. Er studierte ebenfalls in Bologna und wurde Leibpage und Kammerherr des Herzogs von Modena. Zurück in Luzern heiratete er und stieg in die Politik ein. Offensichtlich war seine Leidenschaft für die Wissenschaft jedoch grösser als diejenige für die Politik. Er gab so viel Geld für seine Experimente aus, dass er bald in finanzielle Nöte geriet. Zudem liebäugelte er mit dem Gedankengut der Französichen Revolution, was im katholisch-konservativen Luzern nicht gern gesehen war.
Im Jahr 1800 musste er Konkurs anmelden, floh zuerst der nach Frankreich und lebte später nach Italien, wo er wahrscheinlich starb. Zwar kehrte er nie mehr nach Luzern zurück, doch die Stadt hat ihm zwei Dinge zu verdanken: Den bekannten Schumacher-Stadtplan von 1790 und die ersten Flüge mit Montgolfieren, also Heissluftballonen, über dem Seebecken mit Tieren als Passagieren – ein wahres Spektakel für die Luzerner Bevölkerung.
Vom Obergrund nach Kleinbasel
Nachdem die Familie Schumacher das Anwesen 1807 verkauft hatte, begann bald die Ära der Familie Bühler, ebenfalls eine einflussreiche Luzerne Patrizierfamilie. Und diese dauert bis heute an: Die drei Brüder, die heute das Himmelrich besitzen, sind Söhne von Marie-Mathilde Bühler (1911-2016), die im Himmelrich geboren und aufgewachsen ist. Sie hat Geistes- und Rechtswissenschaften an den Universitäten Basel und Freiburg studiert und engagierte sich in verschiedenen Verbänden für Frauenrechte und das Frauenstimmrecht. Nach ihrer Heirat mit Franz Freuler, einem Zahnarzt aus Kleinbasel, bewegte sie sich in zwei Welten: in einer mittelständischen Welt in Basel und in der Luzerner Oberschicht. Ihr Sohn, einer der aktuellen Besitzer berichtet, wie er als kleiner Junge jeweils im Himmelrich in den Ferien war und von der Grossmutter in französischer Konversation unterrichtet wurde. Das sei schon etwas seltsam gewesen für einen Kleinbasler Sprössling.
Keine Matte mehr, aber bald Alterswohnungen?
Die Himmelrich-Matte umfasste im 18. Jahrhundert über 10 Hektaren und reichte im Süden bis zum Paulusplatz, weiter zum Steghof, zur Rösslimatt und im Norden bis zur Moosstrasse. Durch den Verkauf und die Abgabe von Land, beispielsweise für den Bau von Eisenbahnlinien, verkleinert sich das Grundstück kontinuierlich. Heute ist das Anwesen umzingelt und die Wirkung, die es früher sicher hatte, ist kaum noch zu spüren.
Die nächste Veränderung steht schon vor der Tür: die Parkplatzfläche und die Gewerbebauten an der Moos-, Himmelrich- und Bundesstrasse, die lange Zeit noch zum Himmelrich-Areal gehörten, wurden im vergangenen Jahr die Zürcher Stiftung Atlas verkauft, die dort nun eine Seniorenresidenz, Mietwohnungen und Gewerbeflächen realisieren will. Übrig bleibt vom Himmelrich also das Hauptgebäude, die vorgelagerten Nebenbauten (Gärtnerhaus und Kapelle) sowie der Park. Das Ensemble steht unter Schutz und die Besitzerfamilie versteht es zum Glück als ihre Verpflichtung, das Ensemble als Zeuge einer längst vergangenen Zeit zu erhalten und in die Zukunft zu führen. So, dass auch in 50 Jahren noch Passanten an der Obergrundstrasse anhalten, durch die Gitterstäbe blicken und sich fragen, welche Geschichten hinter diesen Mauern stecken.
Verwendete Quellen
- Eigene Recherche
- Meyer, André: «Das Himmelrich und der Obergrund» Herausgegeben von Jost Schumacher, 2017
Hinweis: Anlässlich des 150. Geburtstags des Quartiervereins Obergrund konzipiert der Verein UntergRundgang einen ObergRundgang. Dieser Beitrag ist im Rahmen der Recherchen zu diesem Spezialrundgang entstanden.