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Vom Naherholungsgebiet zum Verkehrsmoloch

Der Krienbach war einst die Grundlage für Handwerk im Alten Luzern. Später waren Lindengarten und Lindenallee ein Naherholungsgebiet für die gestressten Städter. Heute gehört die Obergrundstrasse dem Verkehr – Erholung oder Entspannung sucht man leider vergebens. UntergRundgänger Michael Weber ging den Fährten nach.

Im 13. und 14. Jahrhundert erlebte Luzern einen bemerkenswerten Wandel: Vom beschaulichen Fischerdorf entwickelte es sich dank der strategisch wichtigen Gotthardroute zu einer «internationalen Handelsmetropole» (Bernauer). Dieser Aufschwung führte zu einem rasanten Wachstum von Handwerk und Gewerbe, insbesondere im 14. und 15. Jahrhundert.

Im Mittelalter umfasste der «Obergrund» viel grössere Gebiete als die heutigen Quartiergrenzen. Das Gebiet, das zusätzlich die Neustadt und weitere Gebiete umfasste, war nur dünn besiedelt. Im Jahr 1352 zählte der Obergrund lediglich acht steuerpflichtige Einwohner. Ein Hauptgrund für die zögerliche Besiedlung waren die verheerenden Hochwasser des Krienbachs, der vom Renggloch über Kriens bis zur Reuss floss. Diese Überschwemmungen verursachten regelmässig immense Schäden und forderten zahlreiche Menschenleben. Um dem entgegenzuwirken, wurde der Krienbach später kanalisiert – heute verläuft an gleicher Stelle die Obergrundstrasse. Parallel dazu entstand der künstlich angelegte Mühlebachkanal, der entlang der heutigen Taubenhausstrasse verlief.

Familienbetriebe, die vom Wasser abhängig sind

Im Jahr 1482 wurde erstmals die «Untere Säge» erwähnt, die sich südlich der heutigen Eisenbahnüberführung befand. Diese mechanische Säge, betrieben durch zwei Schaufelräder, war im Volksmund ab dem 19. Jahrhundert als «Liniger-Säge» bekannt. Die Familie Liniger, insbesondere die Witwe Elisabeth Liniger, betrieb diese Sägerei noch bis tief ins 20. Jahrhundert hinein weiter.

Undatierte Aufnahme der Familie Liniger vor ihrer Säge. (Quelle: Stadtarchiv Luzern, F2 PA 009 Quartierverein Obergrund)
Undatierte Aufnahme der Familie Liniger vor ihrer Säge. (Quelle: Stadtarchiv Luzern, F2 PA 009 Quartierverein Obergrund)

Die Liniger-Säge war aber nur einer von zahlreichen Kleinbetrieben entlang der beiden Kanäle. Die heutige Obergrundstrasse war einst geprägt von bescheidenen Vorstadthäusern kleiner Gewerbetreibender. Heute ist nur noch eines dieser Häuser erhalten: das sogenannte «Chrüterhüsli» an der Obergrundstrasse 21.

Der Krienbach war aber mehr als nur Energielieferant – er war auch zuständig für die Abfallentsorgung. Wie in jener Zeit üblich, wurden in Kriens und im Obergrund private und gewerbliche Abfälle einfach in den Bach geworfen. Dies führte nicht nur zu unangenehmem Gestank, sondern begünstigte auch die Ausbreitung von Krankheiten wie der Cholera. Aus diesem Grund wurde ab den 1910er-Jahren der Krienbach abschnittsweise überdeckt. Oftmals erhielten diese Überdeckungen jedoch ein zu geringes Abflussprofil, sodass bei starken Niederschlägen das Abwasser nicht vollständig abfliessen konnte und über die Ufer trat.

Um die Hochwasserproblematik zu lösen und sauberes Bachwasser vom Schmutzwasser zu trennen, wurde von 1991 bis 1994 der neue Krienbachstollen gebaut. Dieser führt seitdem von der Busschleife Kriens via Amlehn und Eichhof durch den Sonnenberg und den Gütsch direkt in die Reuss. Der alte Krienbachkanal dient seither als Kanalisation und verläuft noch immer entlang der ursprünglichen Route entlang der Obergrundstrasse.

Erholung im Obergrund

Obwohl Luzern im 13. und 14. Jahrhundert zur «Handelsmetropole» gemausert hatte, verlor die Stadt diesen Status schon bald darauf wieder. Ein Grund dafür waren die Zünfte und Patrizier, die durch strenge Reglementierungen den Wohlstand für sich behielten. Infolgedessen entwickelte sich Luzern nicht zur Handels-, sondern aufgrund seiner malerischen Landschaft zur Touristenstadt – ein Wandel, der auch im Obergrundquartier sichtbar wurde. Direkt am Krienbach gelegen stand der Lindenhof, ein Heilbad – die Abwasserproblematik scheint damals nicht allzu ausgeprägt wahrgenommen worden zu sein.

Das Heilbad Lindenhof war direkt an der Lindenallee mit Krienbach gelegen. (Quelle: Stadtarchiv Luzern, F2 PA 009 Quartierverein Obergrund)
Das Heilbad Lindenhof war direkt an der Lindenallee mit Krienbach gelegen. (Quelle: Stadtarchiv Luzern, F2 PA 009 Quartierverein Obergrund)

Die heutige Obergrundstrasse war über Jahrhunderte hinweg eine von Linden gesäumte Allee – die Lindenallee. Diese lud am Sonntag die Stadtbevölkerung zum Flanieren ein. Es gehörte zum gutbürgerlichen Ritual, sonntags spazieren zu gehen, um sich gegenseitig beim Lustwandeln zu treffen. Doch der immer intensivere Individualverkehr hat dieses Naherholungsgebiet schrittweise vernichtet. Bereits 1916 sollten alle Linden zum Zweck der Verbreiterung der Strasse gerodet werden. Der Heimatschutz kämpfte aber mit Vehemenz unter dem Slogan «Über Leben oder Tod der Lindenallee im Obergrund» gegen diese «Verkehrsinteressen» an.

Postkarte zur Abstimmung «Über Leben oder Tod der Lindenallee im Obergrund» (Quelle: Stadtarchiv Luzern, F2 PA 009 Quartierverein Obergrund)
Postkarte zur Abstimmung «Über Leben oder Tod der Lindenallee im Obergrund» (Quelle: Stadtarchiv Luzern, F2 PA 009 Quartierverein Obergrund)
Rückseite der Postkarte mit Gedicht zur Abstimmung «Über Leben oder Tod der Lindenallee im Obergrund» (Quelle: Stadtarchiv Luzern, F2 PA 009 Quartierverein Obergrund)
Rückseite der Postkarte mit Gedicht zur Abstimmung «Über Leben oder Tod der Lindenallee im Obergrund» (Quelle: Stadtarchiv Luzern, F2 PA 009 Quartierverein Obergrund)

Die Stadtbevölkerung schlug sich – vielleicht auch vom Abstimmungsgedicht beeindruckt – auf die Seite der «Bäume» und stimmte tatsächlich nein. Viel geholfen hat es nicht. Denn Tram, Droschken, Kutschen und erste Automobile brauchten mehr Platz und dies wurde über den Volkswillen gestellt. Der «Kompromiss» war folgender: Die westliche Baumreihe wurde abgeholzt und entlang des Fusswegs neu gepflanzt. Doch die «Verkehrsinteressen» wurden in den kommenden Jahrzehnten immer «drängender», und heute sind die alten Linden, wie auch der Strassenname, verschwunden.

Lindengarten als Zufluchtsort

Als letzte öffentliche Grünfläche zwischen Pilatusplatz und Eichhof blieb nur der Lindengarten erhalten. Dieser wurde 1759 angelegt und ist eine der ältesten noch bestehenden Parkanlagen der Stadt. Anfangs diente er als Exerzierfeld für Soldaten und bot Platz für Volksfeste. Auch Turnfeste fanden hier statt, weshalb 1873 hier die erste Turnhalle der Stadt – die Knabenturnhalle – erbaut wurde. Diese stand auf dem Gebiet der heutigen Obergrundstrasse 72 und 70 (Pizza Dieci).

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts verlagerten sich grosse Volksfeste auf die Allmend, und auch die Armee nutzte nun andere Übungsplätze. Der Lindengarten entwickelte sich zu einem Baumgarten, der ebenfalls – wie die angrenzende Lindenallee zum Flanieren und Verweilen einlud.

Der (noch) idyllische Lindengarten in einem kolorierten Foto vor dem 2. Weltkrieg. (Quelle: Stadtarchiv Luzern, F2a/ANLAGEN/22)
Der (noch) idyllische Lindengarten in einem kolorierten Foto vor dem 2. Weltkrieg. (Quelle: Stadtarchiv Luzern, F2a/ANLAGEN/22)

Doch dem Lindengärtli erging es wie der Lindenallee. Je intensiver der Verkehr auf der Obergrundstrasse wurde, desto weniger Leute fanden sich hier ein, um sich zu treffen oder um sich zu erholen. Die Stadt probierte immer wieder mit Umgestaltungen und neuen Spielplätzen den Stadtpark attraktiver zu machen. Jedoch ergaben bereits 1971 Schallmessungen einen Lärmgrundpegel von 68 Dezibel auf dem Spielplatz. Vorbeifahrende Lastwagen liessen den Schallpegelmesser auf 78 Dezibel hochschnellen. Heute weiss man, dass bereits ab 65 Dezibel eine Risikoerhöhung für Herz-Kreislauferkrankungen herrscht.

Störten sich 1961 offenbar noch nicht am Verkehr. Fotoaufnahme anlässlich der Eröffnung eines neuen Spielplatzes im Lindengärtli. (Quelle: Stadtarchiv Luzern, F2a/ANLAGEN/22)
Störten sich 1961 offenbar noch nicht am Verkehr. Fotoaufnahme anlässlich der Eröffnung eines neuen Spielplatzes im Lindengärtli. (Quelle: Stadtarchiv Luzern, F2a/ANLAGEN/22)

Ein prominentes Opfer des Verkehrs steht heute noch im Lindengärtli. Hugo Siegwarts Wilhelm Tell dominierte von 1912 bis 1935 den Pilatusplatz. Auch er musste – wie die Linden – dem Verkehr weichen und wanderte südwärts ins Exil. Heute ist er häufig die einzige «Person», die sich im Lindengärtli aufhält.

Der Tellbrunnen dominierte zwischen 1912 und 1935 den Pilatusplatz (Quelle: Buchseite Luzerner Brunnen)
Der Tellbrunnen dominierte zwischen 1912 und 1935 den Pilatusplatz (Quelle: Buchseite Luzerner Brunnen)

Hinweis: Am 29. März führen wir abermals einen ObergRundgang durch. Weitere Informationen und Anmeldung unter www.untergrundgang.ch.

Quellen:

  • Augenschein vor Ort
  • Besuch im Stadtarchiv
  • Bernauer, Otto: Die Industrie des Kantons Luzern: Entstehung und Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung des industriellen Standortes: Luzern, A. Bucher-Räber (1951)
  • Obergrund: 125 Jahre Quartierverein, 125 Jahre Stadtgeschichte: Luzern, Obergrund-Quartierverein (1999)
  • Hafner, Hans: Obergrund Luzern: Luzern (1988)
  • Rüesch, Edgar et al.: Luzerner Brunnen: Luzern: Reuss-Verlag (1988)

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