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Der Aufstieg und Fall des Schweizer Bierkartells

Von 1937 bis 1991 brodelte dank des Bierkartells in helvetischen Braukesseln die Einheitspfütze. Heute dagegen dominiert mit mehr als 1100 Brauereien die Vielfalt – auch dank eines Luzerner Brauhauses aus Römerswil. Delf Bucher zeigt, welche Brauerei es war.

1937 einigten sich die Brauereien unter dem Schirm des Schweizerischen Brauereiverbands darauf: Statt sich weiterhin dem rauen Wettbewerb zu stellen, sollten die Absatzgebiete schön säuberlich abgesteckt werden. Das Bierkartell nahm seinen Anfang. Damit dominierte Hürlimann die Bierszene rund um Zürich, Eichhof jene in der Innerschweiz. Feldschlösschen belieferte die Nordostschweiz und Calanda war für Graubündens Biertrinkerinnen und Verbraucher zuständig. Statt für die eigene Marke zu werben, gestaltete nun der Schweizerische Brauereiverband neutrale Marketingaktionen, um den Bierumsatz zu steigern. Beliebter Spruch: «Bier – Weltmeister im Durstlöschen».

Bierwerbung des Kartells in den 1930er-Jahren. (Bild: Archiv Schweizerischer Brauereiverband)
Bierwerbung des Kartells in den 1930er-Jahren. (Bild: Archiv Schweizerischer Brauereiverband)

Nicht nur die Werbung für die eigene Marke war untersagt. Es herrschte auch sonst ein strenges Gleichmacherregime: Von den vier ausschliesslich erlaubten Biertypen über die Stammwürze bis hin zur Flaschen- und Bierglasgrösse war alles eng reglementiert. Keine Innovationen, keine Experimente, kein Weizen- oder Hanfbier – einfach festgeschriebener Stillstand, sodass der Begriff «Konkurrenz» ein Fremdwort blieb.

Obstverwerter erkennt Chance

1991 zerbrach das Kartell. Dabei spielte neben dem geänderten Kartellrecht auch eine Brauerei aus dem luzernischen Römerswil eine Rolle – die Lupo-Brauerei, die heute zur Ramseier-Gruppe gehört. Vor 1963 hatten die Luzerner Privaten Obstverwertungsbetriebe, kurz: LUPO – wie schon der Name sagt, nicht viel mit Bierbrauen am Hut. Dann aber erkannten die Obstsaftverwerter, dass man mit der Herstellung des Gerstensafts ausserhalb des Bierkartells eine Marktnische besetzen kann, und wurden zum Stammbrauer von Karl Schweris Discountkette Denner.

Mit seiner von LUPO produzierten Eigenmarke unterbot Denner die Preise des Kartells um 30 Prozent und feierte sich in der Werbung mit Wilhelm Tell als Kämpfer gegen das Bierkartell. Pathetisch mit Schillers Tell nahm Denner den Kampf gegen den Preisvogt des Bierkartells auf und liess in einem Werbeaufruf 1985 verlauten: «Wir wollen frei sein, wie unsere Väter waren… Kampf dem Bierkartell!».

Tell gegen das Bierkartell. (Bild: zvg)
Tell gegen das Bierkartell. (Bild: zvg)

Noch vor der Revision des Kartellrechts 1996 war das Bierkartell erledigt und damit war es vorbei mit dem gemächlichen Trott auf den Chefetagen der Bierbrauereien. Ein Brauhaus nach dem anderen wechselte den Markennamen. Die Grossen schluckten die Kleinen. Feldschlösschen wurde immer grösser, aber nicht gross genug, um gegen die internationale Konkurrenz zu bestehen. 2000 ging die Biermarke Nummer 1 der Schweiz an den dänischen Konzern Carlsberg.

Eichhof in Luzern behauptete sich noch bis 2008 als unabhängige Marke, bis dann die Holländer mit Heineken das Zepter übernahmen. 15’500 Unterschriften, die sich gegen die feindliche Übernahme der Schweizer Traditionsmarke wehrten, wurden rasch in der Amsterdamer Firmenzentrale als Altpapier entsorgt. Das Kartell hat letztendlich die Schweizer Brauereien träge gemacht und so die Konzentrationsspirale nach dem Zusammenbruch 1991 beschleunigt.

«Brauerei zum Gütsch» gegen Spiess & Co.

Angefangen hat der Trend zum Kartell schon früh. 1907 schlossen die beiden Brauereien Endemann und Spiess Schutzverträge, die sich damals an vielen Orten der Schweiz etablierten, um einheitliche Preise diktieren zu können. Verärgerte Luzerner Wirte reagierten. Sie organisierten sich in der «Wirtegenossenschaft Gütsch» und kauften die Brauerei Lädeli im Untergrund. Unter dem Label «Brauerei zum Gütsch» wollten sie sich dem monopolistischen Zugriff der beiden Platzhirsche entziehen.

Bau der St.-Karli-Brücke 1908. Im Hintergrund die Brauerei zum Gütsch. (Bild: Stadtarchiv Luzern F2a/Strassen)
Bau der St.-Karli-Brücke 1908. Im Hintergrund die Brauerei zum Gütsch. (Bild: Stadtarchiv Luzern F2a/Strassen)

1915 wurden die Kessel im Sudhaus nicht mehr unter Dampf gesetzt. Fehlender Hopfen und teure Kohle und Gerste setzten der Genossenschaftsbrauerei noch mehr zu als den beiden Bierbaronen Theodor Spiess (Löwengarten) und Heinrich Endemann (Luzerner Bier). Die beiden Platzhirsche auf dem Luzerner Biermarkt retteten sich, der wirtschaftlichen Krise gehorchend, nach dem Ersten Weltkrieg in eine Fusion.

Ein Trauerspiel dagegen ereignete sich bei der konkursiten Genossenschaft Lädeli. 1918 stand nach einem aufwendigen Gerichtsverfahren der Konkurs fest und die Brauerei verhökerte ihre alten Anlagen als Alteisen. Eine lange Zeit des Monopols beherrschte die Wirtshausszene und den Detailhandel. Selbst das Bier mit einer Etikette von Coop war in Wahrheit ein Brauereiprodukt aus dem Hause Eichhof.

Weltweit höchste Brauereidichte

Heute dagegen blühen die Kleinbrauereien. Mit dem gesprengten Kartell erfasste die Schweiz ein noch nie da gewesenes Gründungsfieber. 2022 wurde die Rekordmarke von 1200 steuerpflichtigen Brauereien durchbrochen. Auch wenn nun das Brauereiverzeichnis der eidgenössischen Zollverwaltung einen Rücksetzer ausweist – nunmehr sind noch 1157 Brauereien registriert, kann nun mit bierseligem Stolz behauptet werden: Die Schweiz hat die höchste Brauereidichte der Welt. Kurz vor dem Ende des Kartells waren es 32.

Quellen:

  • Zeitensprünge und Grenzgänge, Selbstverlag Untergrundgang, 2019
  • Der Eichhof, Selbstverlag Brauerei Eichhof Luzern, 1973
  • Das Brauwesen in der Stadt Luzern einst und jetzt, Selbstverlag Vereinigte Luzerner Brauereien AG zum Eichhof, 1937

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